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Mit mRNA gegen Krebs

Die Wissenschaft forscht seit Jahren an mRNA-Therapien gegen schwere Krankheiten. Das Unternehmen BioNTech, das den ersten mRNA-basierten Coronaimpfstoff entwickelte, testet therapeutische mRNA-Vakzine gegen diverse Krebsarten, u.a. Darmkrebs.

Schon länger forschen Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler an der Technologie, mit der sie das Immunsystem von Betroffenen in die Lage versetzen wollen, Krankheiten zu bekämpfen – u.a. Krebs. Univ.-Prof. Dr. med. Özlem Türeci ist eine Pionierin der mRNA-Krebsforschung. Sie ist medizinischer Vorstand und Mitgründerin des pharmazeutischen Unternehmens BioNTech.

Ihre grundlegende und translationale Arbeit an mRNA-vermittelten Immuntherapien gegen Krebs ermöglichte die schnelle Entwicklung des ersten zugelassenen und auf dieser Technologie basierenden Impfstoffs gegen COVID-19. Die Pandemie hat die Entwicklung der innovativen Methode enorm beschleunigt, was wiederum der Krebsforschung zugutekommt.

BioNTech wurde 2008 auf der Grundlage langjähriger Forschungsarbeiten, die u.a. durch das Bundesforschungsministerium gefördert wurden, gegründet. Die inzwischen unter EU-Recht agierende Aktiengesellschaft hat 2021 mehrere Phase-2-Studien gestartet, darunter eine mit einem mRNA-Krebsimpfstoff gegen Dickdarmkrebs. Doch was steckt hinter dem Ansatz?

Was ist mRNA und wofür ist sie gut?

Der Begriff messenger-RNA (abgekürzt mRNA) bedeutet auf Deutsch „Boten“-RNA. Warum braucht es einen Boten und welche Botschaft überbringt er? Dazu muss man wissen, was mRNA ist und welche Rolle ihr in einer Zelle normalerweise zukommt.

Wie unsere Zellen ihre Arbeit machen

Im Innern menschlicher Zellen schwimmen in einer Art „Zellsaft“ (Fachbegriff: Zytoplasma oder Zellmatrix) Nährstoffe wie Zucker oder Elektrolyte sowie Proteine. Zudem sind darin weitere Zellbestandteile enthalten, wie z.B. die Ribosomen (Produktionsstätten der Proteine) und der Kern, in dem die DNA geschützt untergebracht ist. Die DNA ist eine Art Enzyklopädie mit Bauanleitungen für alles, was der Körper braucht. Auf ihr liest jede Zelle nach Bedarf einzelne Abschnitte (Gene) ab und produziert daraus Proteine, die die Arbeit in den Zellen verrichten.

Die Ribosomen liegen im Zytoplasma der Zelle, doch dahin kann die DNA nicht gelangen, sie ist im Zellkern gefangen. Daher wird sie in eine transportable Kopie, die Boten-RNA, umgeschrieben, die aus dem Kern ins Zytoplasma auswandern kann.

Sobald Ribosomen und mRNA im Zytoplasma zusammentreffen, setzen die Ribosomen, entsprechend der Information der mRNA Proteine aus ihren Bausteinen, den Aminosäuren, zusammen.

Veränderte Proteine tragen zum Krebswachstum bei

Proteine verleihen einer Zelle ihre Funktion, können beispielsweise die Teilung einer Zelle auslösen. In Krebszellen sind u.a. an der Zellteilung beteiligte Proteine krankhaft verändert, was dazu führt, dass sich die Zelle übermäßig vermehrt. Zum Teil entstehen in Tumoren auch ganz neuartige Proteine, die man als Neoantigene bezeichnet, da sie im Körper natürlicherweise gar nicht vorkommen.

Moderne Krebstherapien setzen u.a. an den krebstreibenden Proteinen an und schalten sie aus. Ein weiterer Ansatz sind so genannte Immuntherapien, die die körpereigene Abwehr in die Lage versetzen, Krebszellen zu erkennen und selbst zu vernichten.

Das Immunsystem wird von Tumoren getäuscht

Normalerweise erkennt der Körper Krankhaftes und greift es an. Das kann ein Krankheitserreger wie ein Virus sein. Aber auch Krebszellen, die ständig in unserem Körper entstehen, sind untypisch und werden normalerweise sofort vernichtet. Das geschieht über bestimmte Immunzellen, die den Körper stetig nach Freund und Feind scannen. Ob etwas fremd ist, erkennen sie an für sie unbekannten Strukturen (den Antigenen). Bei Krebs sind das beispielsweise entartete Oberflächenproteine, die aus Zellen herausragen. Gegen diese Antigene werden dann genau passende Antikörper produziert. Binden diese an die Fremdstruktur, ist das das Signal zu deren Vernichtung.

Manchmal gelingt es entarteten Zellen, sich dem zu entziehen und ein Tumor wächst heran. Die Krebszellen sind sehr anpassungsfähig und werden mit der Zeit immer raffinierter, bremsen zum Beispiel die Immunabwehr aus oder tarnen sich vor ihr.
Mehr zur Rolle des Immunsystems bei Krebs und Therapien gegen Immunbremsen

Was genau für Prozesse zwischen dem Tumor und den ihn umgebenden Zellen, z.B. den Immunzellen, ablaufen und wie man das verhindern kann, wird im Rahmen der Dekade gegen Krebs noch genauer erforscht.

Prinzip von immuntherapeutischen Impfstoffen mit mRNA
Die Idee hinter einer mRNA-Impfung ist, den Körper mit der Nase auf krebstypisch veränderte Proteine zu stoßen, ihm quasi einen Fahndungsbrief für Tumorzellen an die Hand zu geben. Hierfür wird der Patientin bzw. dem Patienten ein kleiner Abschnitt mRNA (also der Bauanleitung) eines krebstypischen Proteins geimpft. Ausgewählt werden dafür entartete und nur auf den Krebszellen vorkommende Proteinabschnitte, sodass sie vom Körper besonders gut als fremd erkannt werden und damit eine starke Immunantwort stimulieren. Zugleich verhindert dies, dass körpereigene gesunde Proteine angegriffen werden.

Zellkern mit DNA und mRNA. Zellkern mit DNA und mRNA Artikel
Bei der Krebsimpfung wird mRNA mit der Bauanleitung für ein krebstypisches Protein (bzw. ein markantes, aber harmloses Bruchstück davon) gespritzt. Dieses bauen die Zellen nun vermehrt auf und überfluten den Körper - das weckt das Immunsystem auf. © Adobe Stock/uday

In den Zellen der Geimpften wird die injizierte mRNA abgelesen und für kurze Zeit verstärkt das entscheidende Stück des entarteten Proteins hergestellt. Das soll das Immunsystem richtig wachrütteln und auf die entsprechenden Strukturen und damit die Tumorzellen abrichten – auch für die Zukunft. Die mRNA verbleibt nicht im Körper, sie wird von ihm wieder abgebaut. Das Immunsystem hat sich aber das entartete Protein gemerkt und kann damit ausgestattete Zellen, wenn diese in Zukunft wieder auftreten sollten, erneut bekämpfen.

Einsatz von mRNA-Impfstoffen als individualisierte Krebsimmuntherapie

Da jeder Tumor eine ganz eigene Kombination von Veränderungen aufweist, muss ein mRNA-Wirkstoff speziell auf die bzw. den Einzelnen ausgerichtet und hergestellt werden.

BioNTech entwickelt in Zusammenarbeit mit Genentech u.a. einen individualisierten mRNA-Krebsimpfstoff namens Autogenes Cevumeran gegen Dickdarmkrebs in einer Phase-2-Studie, also an Patientinnen und Patienten. Der Wirkstoff ist speziell gegen Patienten-spezifische Neoantigene von Krebszellen gerichtet. Daran angelehnt nennt man das eine individualisierte Neoantigen-spezifische Therapie (kurz: iNeST).

Univ.-Prof. Dr. Özlem Türeci, die den Entwicklungsprozess bei BioNTech als Chief Medical Officer leitet, erklärt: „Viele Krebserkrankungen verlaufen so, dass ein Patient oder eine Patientin nach der Operation zunächst tumorfrei erscheint. Nach einiger Zeit bilden sich bei einigen allerdings wachsende Tumorherde, die zunächst nicht sichtbar waren und es kommt mit hoher Wahrscheinlichkeit zu Metastasen.“ In der Studie wolle man prüfen, ob ein individualisierter mRNA-Impfstoff solche Rückfälle verhindern kann.

Statistisch tritt bei einem Teil der Patientinnen und Patienten innerhalb von zwei bis drei Jahren nach der Operation der Krebs wieder auf. Besonders gefährdete Personen sollen in der Studie frühzeitig durch einen hochempfindlichen, krebsspezifischen Bluttest identifiziert werden und dann eine Impfung mit Autogenem Cevumeran erhalten.

Erkennen von Risikopersonen durch Liquid Biopsy

In der Studie sollen Personen mit einem hohen Rückfallrisiko durch einen hochempfindlichen Biomarker-Test, der erste Anzeichen von Krebs im Blut detektieren kann, identifiziert werden.

Daher führt BioNTech parallel eine epidemiologische Studie durch, um den Biomarker zu evaluieren.

Beispiel für einen Biomarker, mit dem Darmkrebs erkannt wird.

Um den Impfstoff herzustellen, müssen zunächst die spezifischen Neoantigene des Tumors identifiziert und daraus die vielversprechendsten ausgewählt werden. Dann wird für jede Probandin und jeden Probanden ein auf seinen Krebs ausgerichtetes Vakzin hergestellt. BioNTech hat dafür den ersten On-Demand-Herstellungsprozess seiner Art entwickelt. Der Vorteil der mRNA ist, dass sie bei Fortschreiten der Tumor-Veränderungen schnell anpassbar ist.

Die Studie hat Potential, die gängige Praxis zu verändern

An der Studie können Patientinnen und Patienten mit Dickdarmkrebs im Stadium II oder III teilnehmen, deren Tumor bereits chirurgisch entfernt wurde und die eine adjuvante (die Heilung unterstützende) Chemotherapie hinter sich haben. Bislang werden diese standardmäßig nicht weiter behandelt, jedoch in regelmäßigen Abständen auf einen Rückfall hin untersucht („watchful waiting“).

Am Ende der Studie soll verglichen werden, ob das den so Behandelten ein längeres Leben bzw. eine längere Zeit ohne Krankheitsfortschritt ermöglichen kann, im Vergleich zu Betroffenen, die nur abwartend beobachtet werden. Auch die Sicherheit der Therapie wird in der Studie weiter geprüft.

Noch keine Routineanwendung

Es laufen derzeit bereits mehrere Studien zu mRNA-Therapien gegen verschiedene Krebsarten (u.a. Melanome und solide Tumore ). Bislang gibt es jedoch für keinen mRNA-Impfstoff gegen Krebs abschließende Daten, sodass eine Zulassung der Wirkstoffe für eine Anwendung außerhalb von klinischen Studien noch aussteht.

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