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KOKON – Kompetenznetz Komplementärmedizin in der Onkologie

Das Kompetenznetz für Komplementärmedizin in der Onkologie (KOKON) untersuchte verschiedene Aspekte der Komplementärmedizin wissenschaftlich und schlägt damit eine Brücke zwischen der konventionellen Medizin und naturheilkundlichem Erfahrungswissen.

Etwa die Hälfte aller Tumorpatientinnen und -patienten nutzen während oder nach ihrer Krebstherapie Angebote der so genannten Komplementär- oder Alternativ-Medizin (KAM oder engl.: CAM).

Komplementär, alternativ, integrativ oder schulmedizinisch?

Von Komplementärmedizin spricht man, wenn Behandlungsverfahren, die nicht zur ärztlichen Standardtherapie zählen, zusätzlich eingesetzt werden.
Der Begriff „Alternativmedizin“ impliziert, dass diese an die Stelle der verordneten Medizin treten soll. Studien belegen, dass der Abbruch oder die Verschleppung der in ihrer Wirksamkeit belegten ärztlichen Therapie die Überlebenschancen Betroffener mindern kann.


Der Begriff Schulmedizin entstand im 19. Jahrhundert und wurde durch Vertreter der entstehenden Homöopathie und Naturheilkunde verwendet, um sich gegen das Wissen, das an medizinischen Hochschulen gelehrt wurde, abzugrenzen. Medizinerinnen und Mediziner sprechen aus ihrer Sicht eher von wissenschaftlich fundierter (evidenzbasierter) Medizin oder Standardtherapie statt von Schulmedizin.


In der integrativen Medizin werden komplementärmedizinische Verfahren mit entsprechend positiver Evidenzlage in die ärztliche Versorgung integriert und so mit der wissenschaftlich bereits etablierten Medizin verknüpft, dass sie sich in ihren Stärken sinnvoll ergänzen.

Was unter den Begriffen verstanden wird, ist vielfältig, es fallen darunter beispielsweise Naturheilkunde, die Einnahme von Mitteln zur Immunstärkung, so genannte Krebsdiäten bis hin zu anthroposophischer Medizin, Homöopathie sowie alte Heilverfahren wie TCM aus anderen Kulturkreisen oder neuere „Mind-Body-Verfahren“ (z.B. Achtsamkeitsbasierte Verfahren wie MBSR nach Kabat-Zinn). ­­

Viele Menschen wollen schauen, was neben den konventionell angebotenen Therapieverfahren außerdem sinnvoll sein könnte – das Informationsbedürfnis zu KAM ist hoch.

Wichtig vorab: Eine Alternative zur herkömmlichen medizinischen Therapie, von der gemäß wissenschaftlicher Datenlage Heilung erwartet werden kann, gibt es nicht. Daher sollte auf eine in ihrer Wirksamkeit belegte Krebsbehandlung nicht verzichtet werden. Hier gibt es leider auch Quacksalberei oder gar bewusste Betrügereien, bei denen versucht wird, mit unrealistischen Heilsversprechen rentable Geschäfte mit der Hoffnung von krebskranken Menschen zu machen.

Davon abgrenzend geht es in diesem Artikel um den Einsatz komplementärer, also ergänzender Maßnahmen, die die Nebenwirkungen beispielsweise der Chemotherapie lindern und den Organismus des Erkrankten, die Selbstheilungskräfte und das Wohlbefinden unterstützen können. Wenn es dabei gelingt, den Zustand des Betroffenen soweit zu stabilisieren, dass z.B. die Chemotherapie nicht wegen starker Nebenwirkungen oder dem schwachen allgemeinen Gesundheitszustand unterbrochen oder niedriger dosiert werden muss, verbessert dies wiederum die Chancen auf eine Heilung durch die Standardtherapie.

Doch wie Scharlatanerie von Hilfreichem unterscheiden? In der modernen, evidenzbasierten Medizin werden Arzneien in klinischen Studien getestet. Die entwickelten Medikamente beruhen auf wissenschaftlich erhobenen Erkenntnissen aus der Grundlagenforschung. Es gibt also Belege für ihre Wirksamkeit und die Unbedenklichkeit bei menschlicher Anwendung.

Brücke zwischen Schulmedizin und Komplementärmedizin

Das Forschungsprojekt Kompetenznetz Komplementärmedizin in der Onkologie (kurz: KOKON), das von der Deutschen Krebshilfe, einem Partner der Nationalen Dekade gegen Krebs, gefördert wurde, untersuchte das Thema Komplementärmedizin aus unterschiedlichen Perspektiven acht Jahre lang mit wissenschaftlichen Methoden.

Dr. med. Markus Horneber im Gespräch „Was ist Komplementärmedizin?“  Unseriöse (Heils-)Versprechen sind aus seiner Sicht nicht Teil der Komplementärmedizin, sagt der Onkologe Dr. med. Markus Horneber, Sprecher des Kompetenznetzes KOKON.  Zum Video auf Vimeo
„Was ist Komplementärmedizin?“ Unseriöse (Heils-)Versprechen sind aus seiner Sicht nicht Teil der Komplementärmedizin, sagt der Onkologe Dr. med. Markus Horneber, Sprecher des Kompetenznetzes KOKON. Zum Video auf Vimeo

In den vielen Einzelprojekten von KOKON haben mehr als 13 Institutionen (vor allem Universitätskliniken, Kliniken und verschiedene Institute, z.B. für Pharmazie oder für Medienforschung) eng zusammengearbeitet.

Die beteiligten Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler haben geprüft, für welche Verfahren es wissenschaftliche Daten gibt, diese bewertet und das Wissen zusammengefasst. Zudem wurden Konzepte entwickelt, wie evidenzbasierte Informationen zu Komplementärmedizin bereitgestellt und sowohl Ärztinnen und Ärzten nahegebracht als auch in patientenorientierter Form kommuniziert werden können.

Ausgangslage: Bedürfnisse und Ängste von Erkrankten und ärztlichen Behandlern

Die meisten Krebspatientinnen und -patienten wünschen sich Informationen und eine Einordnung zu KAM von ihrer behandelnden Ärztin bzw. ihrem Arzt. Doch oft trauen sie sich nicht, das Thema anzusprechen aus Angst, dass diese völlig dagegen eingestellt sind. Wer Medizin studiert hat, weiß tatsächlich selbst oft wenig über Methoden, die nicht Teil der eigenen Ausbildung waren. Daher kommt Kommunikation zu diesem Thema oftmals zu kurz.

Auch vermeintlich sanfte Verfahren können starke Neben- oder Wechselwirkungen mit der verordneten Arznei haben.

Hinter dem Interesse an komplementären bzw. alternativen Verfahren steht oft, dass Betroffene selbst etwas tun, nicht nur passiv die Erkrankung „erleiden“ wollen. Und oft mag die Annahme dahinterstehen: Wenn´s nicht nützt, schadet´s zumindest nicht – warum also nicht versuchen.

Von vielen Laien wird „pflanzlich“ oder „natürlich“ oft vermeintlich mit „sanft“ gleichgesetzt. Dass z.B. auch Pflanzenstoffe nicht nur sanft sind, zeigt sich darin, dass einige starke Chemotherapien auf Wirkstoffen aus Eiben (Taxane) oder Immergrün (Vincristin) gründen.

Auch vermeintlich harmlose, zusätzliche Anwendungen zur Standardtherapie sollten daher mit der Ärztin bzw. dem Arzt besprochen und individuell auf den Betroffenen abgestimmt werden. So ist von manchen Pflanzen wie beispielsweise dem Johanniskraut bekannt, bei dass die enthaltenen Wirkstoffe bei hochdosierter längerer Einnahme die Wirksamkeit bestimmter Chemotherapeutika beeinflussen kann; bei Grapefruitsaft reicht hierfür sogar bereits ein großes Glas aus. Durch Wechselwirkungen mit einer Arznei kann deren Wirkung abgeschwächt oder verstärkt werden, sodass der Krebs nicht ausreichend bekämpft wird oder die Nebenwirkungen zunehmen.

Eine Reihe von Pflanzenextrakten können zudem Organfunktionen, wie zum Beispiel die der Leber oder der Niere stören. Daher sollte auch bei der Anwendung von Arzneipflanzen – wie bei allen Arzneien – die möglichen Nebenwirkungen, Unverträglichkeiten und Wechselwirkungen mit der aktuellen Therapie des Erkrankten beachtet werden.

Fehlende Evidenz bedeutet nicht zwangsläufig auch fehlende Wirksamkeit. Doch fairerweise muss die Patientin oder der Patient wissen, wenn die Forschung keinen Beleg für eine Wirksamkeit gefunden hat oder dies bzw. mögliche Nebenwirkungen noch nicht ausreichend erforscht sind. Daher ist das Gespräch mit der behandelnden Ärztin oder dem Arzt sinnvoll und zu empfehlen. 

Die erste Förderphase von KOKON adressierte folgende Forschungsaspekte:

Informationsbedürfnisse
Hier wurden zum einen die Bedürfnisse von Krebspatientinnen und -patienten nach Information und Beratung zur Komplementärmedizin untersucht und zum anderen die nach Informationen und Fortbildungen von Angehörigen der Gesundheitsberufe.

Wissensdatenbank
Die Forschenden arbeiteten mit dem EU geförderten CAM Cancer Konsortium und der Deutschen Gesellschaft für Hämatologie und Onkologie zusammen und erstellten systematisch recherchierte Monographien zu Verfahren der Komplementärmedizin.

Informationsangebote
Es wurde ein zielgruppenspezifisches Kommunikationskonzept erstellt und eine Pilotversion einer Informationsplattform mit laienverständlichen Informationen zur Komplementärmedizin entwickelt.

Fachberatung
Es wurde ein Netzwerk mit sieben Standorten in Deutschland aufgebaut und evaluiert, in dem sich Krebspatient:innen und ihre Angehörigen durch speziell qualifizierte Fachärztinnen und Fachärzte unabhängig und unentgeltlich zur Komplementärmedizin beraten lassen konnten.

Fortbildung
Es wurden fachgruppenspezifische Fortbildungsprogramme zum Thema Komplementärmedizin für Fachpflegekräfte, ärztliches Personal und für die Krebs-Selbsthilfe entwickelt und wissenschaftlich evaluiert.

Methodenzentrum
Es wurden zur Sicherung der Qualität verbindliche und den internationalen Maßstäben entsprechende Standards für die Vorgehensweisen bei der Forschung erarbeitet und umgesetzt.

Forschungsbericht aus der 1. Förderphase (PDF)

Für die zweite Förderphase hatte sich das KOKON-Team folgende Ziele für die Weiterentwicklung und Umsetzung der bisherigen Arbeit gesetzt:

- Trainingsprogramme für eine patientenzentrierte ärztliche Kommunikation und Beratung zu KM in der onkologischen, hausärztli­chen und pädiatrisch-onkologischen Versorgung zu erstellen und zu evaluieren,

- die Umsetzung eines Schulungskonzepts zur Stärkung und Förde­rung der Kompetenz von Patien­ten und Angehörigen im Umgang mit KM in der Krebsselbsthilfe zu evaluieren,

- die medizinischen, ethischen und kommunikativen Herausforderungen zu analysieren, die sich im Bereich der KM für die Arzt-Patienten-Beziehung ergeben können und Lösungsansätze zum professionellen Umgang mit diesen Herausforderungen zu entwickeln

- die Wissensdatenbank mit den Schwerpunkten Supportivtherapie und Wechselwirkungspotenzial pflanzlicher Stoffe auszubauen,

- eine Kriterienliste für nicht-medizinische Therapeuten zu erstellen, sowie Zielparameter für die Evaluation von Kommunikationsprogrammen zu entwickeln.

Zu den Erfahrungen und Ergebnissen aus dieser Arbeit findet sich ein Forschungsbericht (2. Förderphase, PDF).

Bereitstellung der erarbeiteten Informationen

KOKON

war auch an der Erstellung der neuen „S3-Leitlinie Komplementärmedizin in der Behandlung onkologischer PatientInnen“ der relevanten medizinischen Fachgesellschaften beteiligt.

In der Leitlinie werden die wichtigsten zur komplementären und alternativen Medizin zählenden Methoden, Verfahren und Substanzen, die aktuell in Deutschland angeboten und genutzt werden, nach den Kriterien der evidenzbasierten Medizin bewertet.

Die Leitlinie unterstützt onkologisches Fachpersonal sowie Betroffene, eine Entscheidung für oder gegen ein KAM-Verfahren auf Grundlage von wissenschaftlich erhobenen Daten zu treffen.

Als Ergebnis der beiden Förderphasen entstand u.a. die Pilotversion einer Wissensdatenbank (KOKONbase) mit Bewertungen der Evidenzlage zu einzelnen Methoden, also Informationen darüber, welche Beweise es für die Wirksamkeit gibt. Das erarbeitete Wissen soll zukünftig sowohl von Menschen mit Krebs und ihren Angehörigen als auch von in der täglichen Versorgung Tätigen genutzt werden können.

Ärztinnen und Ärzte können unter den Onkopedia Leitlinien des Dekaden-Partners DGHO auf Kurz-Monographien zurückgreifen; in englischer Sprache auf CAM-Cancer.org.

Für Menschen mit Krebs sowie deren Angehörige wurde die Webseite KOKONinfo geschaffen, die die Informationen laienverständlich aufbereitet.

Zudem wird es in Kürze eine frei verfügbare Datenbank auf dem Server der Universität Greifswald geben mit den im Rahmen von KOKON erstellten Bewertungen von Pharmazeutinnen und Pharmazeuten zum Risiko von Wechselwirkungen zwischen pflanzlichen Heilmitteln, Pflanzenstoffen und onkologischen Medikamenten. Das Ziel war es, durch eine Erarbeitung und Darstellung des aktuellen Kenntnisstands aus der klinischen Forschung eine Grundlage dafür zu schaffen, wie Komplementärmedizin nutzbringend in der Supportivtherapie eingesetzt werden kann.

Überblick der entstandenen frei zugänglichen Angebote aus KOKON:

Für Patientinnen und Patienten

- Schulungsprogramm für die Krebs-Selbsthilfe zum Umgang mit dem Thema Komplementärmedizin – dieses wird durch die Professur für Selbsthilfeforschung, deren Leiter auch Projektleiter in KOKON war, fortgeführt.

- Internetportal KOKONinfo für Betroffene mit geprüften Informationen über Komplementärmedizin bei Krebs

- Netzwerk für ärztliche Beratung- und Behandlung an den derzeitigen KOKON-Standorten

Eine Kriterienliste für seriöse Anbieter komplementärmedizinischer Verfahren (PDF, 1MB, Datei ist nicht barrierefrei) (Webseite des Universitätsspital Zürich)

Für Ärztinnen und Ärzte

- Onkopedia-Leitlinien mit evidenzbasierten deutschen Zusammenfassungen über „Komplementäre und alternative Therapieverfahren“ (Webseite der DGHO) und in englischsprachiger Form auf cam-cancer.org.

- Evaluierte Trainingsprogramme zur Fortbildung zum Thema Komplementärmedizin für onkologisch tätige Ärztinnen und Ärzten.

Leitfaden (PDF, 1MB, Datei ist nicht barrierefrei) und Pocketcard für ärztliche Informationsgespräche zur Komplementärmedizin (Webseite des Instituts für komplementäre und integrative Medizin am Universitätsspital Zürich).

- Zielparameter für die Evaluation von ärztlichen Kommunikationsprogrammen: https://bmccancer.biomedcentral.com/articles/10.1186/s12885-019-6022-5

Wie geht es weiter mit KOKON?

Aufbauend auf den Erfahrungen und Ergebnissen aus KOKON und der Wissensdatenbank KOKONbase wird im Projekt „CCC-Integrativ“ ein Konzept entwickelt, wie onkologische Patientinnen und Patienten wissenschaftlich fundiert über naturheilkundlich-komplementäre Verfahren in der Medizin und Pflege (KMP) beraten werden können. Durchgeführt wird das an vier teilnehmenden Spitzenzentren für Onkologie (so genannte Comprehensive Cancer Centers, kurz: CCCs) in Baden-Württemberg, den CCCs Freiburg, Heidelberg, Tübingen und Ulm.

Spätestens nach Ende von CCC-Integrativ wird die Wissensdatenbank KOKONbase frei zugänglich sein.

Zudem ist geplant, die Arbeit von KOKON in Zukunft in einen Verein zu überführen.

Mehr zu CCC-Integrativ

Die Beratungen werden von interprofessionellen Teams aus speziell im Projekt geschulten Ärztinnen und Ärzten sowie Pflegefachkräften angeboten. Flankierend werden sektorenübergreifende Maßnahmen durchgeführt (z. B. Information/Schulungsangebote für Hausärztinnen und -ärzte und Pflegende an den CCCs). Insgesamt erhalten 2.000 Patienten das KMP-Beratungsangebot über drei Monate mit mindestens drei Beratungskontakten.

Die Wirksamkeit des Programms wird anhand von primär erhobenen Daten mittels validierter Fragebögen sowie Routinedaten im Kontrollgruppenvergleich evaluiert. Ergänzend werden im Rahmen einer Prozessevaluation Videoanalysen und Interviews mit Patienten, Ärzten und Pflegepersonal durchgeführt. Das Projekt wird im Rahmen des Innovationsfonds durch den Gemeinsamen Bundesausschuss über drei Jahre mit ca. 5,2 Millionen Euro gefördert.

Ziel ist es, Betroffene durch ein interprofessionelles Team aus Ärzten und Pflegenden individuell zu Chancen und Risiken zur KMP zu beraten, so dass sie selbständig entscheiden können, ob bzw. welche KMP sie in Anspruch nehmen wollen.
 

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